Willkommen zu einem faszinierenden Einblick in die Erfahrungen unseres medizinischen Direktors, der sechs Wochen lang bei einem Projekt der German Doctors e.V. in Nairobi dabei war. Die German Doctors sind eine deutsche Hilfsorganisation, die es sich zum Ziel gesetzt hat, medizinische Versorgung für Menschen in Krisengebieten bereitzustellen. In diesem Interview teilt uns Dr. Arno Brickenkamp seine tiefgehenden Erfahrungen, Erlebnisse und Eindrücke aus seiner Zeit in Nairobi mit. Es ist eine Geschichte voller Emotionen, Herausforderungen und auch schöner Momente. Ein Bericht, der zeigt, wie die Arbeit der German Doctors dazu beitragen kann, das Leben von Menschen in Not zu verändern. Lesen Sie weiter, um mehr über die unglaublichen Geschichten des Arztes zu erfahren und sich von seiner Begeisterung für die Arbeit der German Doctors inspirieren zu lassen.

® Dr. Arno Brickenkamp

Frage 1: Wieso hast du dich dazu entschlossen, in einem Slum Menschen in Not zur Verfügung zu stehen und ihnen Hilfe zu leisten?

Das ist ein Traum oder vielmehr eine Ideedie ich schon mit dem Studium hatte. Das Gute an dem Beruf eines Arztes ist ja, dass ein Knochenbruch auf der ganzen Welt ein Knochenbruch ist, und eine Blasenentzündung ist auf der ganzen Welt eine Blasenentzündung. Als Arzt kann man damit immer international arbeiten. Das einzige Hindernis ist die Kultur und die Sprache, aber die kann man zumindest zum Teil ja ganz gut überwinden. Das ist einer der Gründe, warum ich Mediziner geworden bin: mit Menschen arbeiten zu können und das mit der Option der internationalen Arbeit. Ich habe das bisher nicht so wahrnehmen können, denn mit der Gründung einer Familie und einer Praxis, bleibt die Zeit für solche Projekte einfach nicht. Jetzt bin ich Rentner und die Situation ist eine ganz andere. Ich hatte endlich die Option und die Chance, Teil eines solchen Projektes sein zu können. Ich konnte damit den Menschen etwas zurückgeben. Die kulturellen Aspekte haben mich auch interessiert und ich bin froh, auf diesem Weg zu helfen. 

Frage 2: Gab es einen speziellen Grund, warum du dir das Projekt in Kenia als Destination ausgesucht hast?

Nein, das hatte keinen speziellen Grund. Die German Doctors haben in sechs verschiedenen Ländern Projekte. In Kenia sind es drei an der Zahl und weitere in bspw. Indien und auf den Philippinen. Man muss immer schauen, welches Projekt zu einem selbst passt. Es gibt auch Projekte, die anders ausgelegt sind, mit mehr „Barfuß-Medizin“, wo du nur dein Stethoskop und deinen Menschenverstand hast. Wir hatten in dem Projekt, wo ich war, eine ganze Ambulanz und ein Labor. Wir waren gut ausgestattet. Ich wollte nicht direkt ins eiskalte Wasser springen und das gut ausgestattete Labor war ein großer Punkt, den ich bei der Auswahl des Projektes bedacht habe. 

Frage 3: Ihr wart also sehr gut ausgestattet vor Ort – wie eine eigene kleine Klinik?

Wir hatten ein Basis-Labor. Wir konnten einigen Laborwerte testen und das hat in den meisten Fällen ausgereicht. Was vor allem ein großer Pluspunkt ist, ist das Ultraschallgerät. Ein sehr gutes sogar. Ich hätte einige schwerwiegende Diagnosen ohne Ultraschall nicht stellen können. Ich hätte einen Verdacht äußern können, natürlich. Man hat den Krankheitsverlauf, die Krankheitsgeschichte und ich habe einige Jahre an Berufserfahrung. Daraus hätte ich einen Verdacht äußern können, aber das endgültige Ergebnis gibt dann doch der Ultraschall. Ich habe sicher über 100 Diagnosen damit abgesichert. Das ist schon wichtig, um gezielt weiter vorgehen und behandeln zu können. Was mir auch sehr wichtig war, waren die Kollegen vor Ort. Das Projekt in Kenia besteht schon 25 Jahre. Vor Ort ist eine Langzeitärztin, sie ist in diesem Fall auch Kenianerin und spricht Kisuaheli. Dann sind immer ein Chirurg und ein Kinderarzt dort. Ich war als Allgemeinmediziner dort. Und als Mädchen für alles. Aber ich konnte die Kolleginnen und Kollegen jederzeit rufen und Fragen stellen und natürlich auch umgekehrt. Es ist eine klare Struktur vorgegeben. Die fachliche Kompetenz zur Behandlung der Menschen habe ich mir schon zugeschrieben, aber mit den Strukturen und allem umgehen, das hielt ich für die größte Herausforderung. Denn du hast von der ersten Sekunde an Verantwortung für Menschenleben. Natürlich kommt dann noch die Sprachbarriere hinzu, die einem das Arbeiten sehr erschwert und sich stark von dem unterscheidet, was ich kenne. Aber ich hatte einen Übersetzer dabei und man schafft es dann doch sich zu verständigen. Auch die Krankheitsbilder unterscheiden sich natürlich. Zuhause schöpfen wir mit der westlichen Medizin aus dem Vollen. Wir haben über 5.000 Laborwerte, MRT, CT, die Liste ist endlos. Man kann aber auch mit weniger vernünftige Medizin machen. Wir hatten vier Laborwerte. Aber das hat ausgereicht.  

Frage 4: Wie war dein Alltag, hattest du einen klassischen 9-5 Tag?

Könnte man so sagen. Von montags bis samstags war die Sprechstunde geöffnet. Ich hatte in der Zeit drei der Samstag frei. Man braucht die freien Tage aber auch. Einige der Kolleg*innen, die mit mir da waren, waren schon älter und ich habe das selbst gemerkt: bei den ganzen neuen Eindrücken und der Flut an Patientinnen und Patienten, braucht man Zeit, um die Tage zu verarbeiten – geistig und körperlich. Ich habe jeden Tag sehr viele Patienten gesehen. Mein Rekord war die Behandlung von 80 Menschen an einem Tag. Das ist im Vergleich zu dem, was ich kenne, eine unfassbar hohe Zahl. Zusätzlich habe ich noch ein paar Ultraschalluntersuchungen für das Team gemacht – auch viel Schwangerschaftsvorsorge. Wenn im Wartezimmer 200 Leute warten, ist keine Zeit für eine Pause oder zum Durchatmen. Man funktioniert so gut es geht und hilft bei den Kollegen aus, wenn Land unter ist. Wir hatten auch Freizeit. Ein Wochenende sind wir mit dem Zug nach Mombasa gefahren und haben es uns gut gehen lassen. Ich habe auch eine großartige Wanderung gemacht. Wir waren mit den Kollegen abends in Bars und Restaurants und haben die Kultur noch näher und stärker kennengelernt.  

Frage 5: Hattest du den Eindruck, dass dein Facharzt-Ausbildung – du bist ja Urologe – dir Vorteile gebracht hat?

Ja klar! Es sind auch viele Menschen gekommen, weil sich herumgesprochen hat, dass ein Urologe in der Ambulanz ist. Es kamen auch Leute, die eigentlich nicht in den Slums gelebt haben aus den umliegenden Städten, nur um von mir behandelt zu werden. Einige Mitarbeitende, die vorher schon da waren, haben den Patient*innen sogar gesagt, sie sollten besser nochmal wieder kommen, wenn ich dann da bin. Ich habe also viele bekannte Krankheitsbilder gesehen. In der Masse habe ich aber nicht so viele Patienten mit einem speziellen urologischen Problem gesehen. Eine Blasenentzündung oder ähnliches konnten auch alle meine Kolleginnen und Kollegen identifizieren. Ich hatte eher Fragestellungen, wo es darum ging, ob jemand nierenkrank ist oder einen Blasentumor oder ein Prostatakarzinom hat. Mein Vorteil war halt wirklich, dass ich sehr gut mit dem Ultraschall umgehen kann, auch im ganzen Bauchraum. Die Urologie ist in vielen Teilen auch sehr fortschrittlich, das kam mir schon zugute. 

® Dr. Arno Brickenkamp

Frage 6: Sind die Menschen vor Ort so weit aufgeklärt, dass sie wissen, worauf sie beim Leben in den Slums achten müssen?

Das ist eine schwierige Frage. Das Problem ist, dass der Bildungsstand niedrig ist und man dieses Wissen auch nicht richtig abfragen kann. Viele Mütter haben auch gar nicht die Chancen ihre Kinder zu beaufsichtigen, wenn sie z.B. in den dreckigen Wasserläufen spielen. Viele Mütter sind alleinerziehend mit mehreren Kindern. Es gibt Projekte von Organisationen, da sind Streetworker vor Ort und sprechen mit den Menschen und versuchen zu sensibilisieren. Es gibt z.B. auch Family Planning Programme, bei denen den Frauen Hormonimplantante zur Verhütung angeboten werden. Das ist aber auch häufig schwierig, weil die Religion es verbietet und in den Slums den ganzen Tag verschiedene Prediger von verschiedenen Religionen unterwegs sind. Gender based violence ist auch ein großes Thema, besonders bei jungen Mädchen, die nicht unbeaufsichtigt draußen spielen können, weil sie in zu großer Gefahr sind.  Ich will nur sagen: die Probleme vor Ort gibt es in vielen Teilen der Welt. Und sie sind der Situation geschuldet. Das sind alles Schwierigkeiten, die man nicht mal eben mit einem Gespräch beheben kann. 

Frage 7: Hat dein Einsatz dort etwas verändert?

Ich habe in den sechs Wochen über 1.500 Patienten gesehen und behandelt. Manche von ihnen zwei- oder dreimal. Ich bin mir sicher, ich habe 500 Menschen wirklich nachhaltig helfen können. Vielleicht waren es auch nur 70. Aber selbst, wenn es nur ein Mensch gewesen wäre, hätte ich damit etwas verändert. Als Helfender kann man “nur” in die Ambulanz gehen und dort seine Arbeit gut machen. Dennoch ändert das nichts an der Situation der Menschen vor Ort oder an den Umständen, denen die Probleme geschuldet sind. Man kann jetzt in Richtung der Regierungen schauen und sich fragen, warum nichts geändert wird, wie so solche Situationen zugelassen werden können. Aber so kommt man nicht weiter. Deswegen sollte man den Kopf nicht in den Sand stecken. Ich bin das Projekt nicht angetreten, um die Welt zu verändern, aber ich weiß, dass ich für ein paar Menschen wirklich etwas bewirkt habe. 

Frage 8: Was würdest du sagen, ist deine schönste Erinnerung an die Zeit? Was ist vielleicht die Schlimmste?

Es gibt keine eine Schönste. Das ist ein Zusammenspiel aus vielen, sehr vielen Sachen. Zum Beispiel Patienten, die zur Kontrolluntersuchung wiederkommen und es geht ihnen besser. Man weiß, man hat alles richtig gemacht. Oder lachende Kinder, die einem so offen und neugierig begegnen.  Wenn man sie gut behandelt hat uns sieht, dass es ihnen besser geht. Das Schlimmste war häufig die Schicksale, die ich gesehen habe. Ein junger Mann mit einem metastasierenden Hodenkrebs, der sterben wird, weil er kein Geld für die Behandlung aufbringen kann. Das ist hart zu sehen. Wir haben getan, was wir konnten, doch in manchen Fällen war es nicht genug. Schlimm ist mir auch die Erinnerung an die vorherrschende Gewalt gegenüber Frauen im Gedächtnis geblieben. Die Ohnmacht der Menschen ohne Perspektive.  

Frage 9: War dein Aufenthalt und dein Mitwirken in dem Projekt abschließend ein positives Erlebnis für dich?

Ja. Das Leben ist das, was man daraus macht. Mir war vorher klar, dass ich die Welt nicht verändern kann und das war weder mein Anspruch noch meine Intention. Mir war klar, dass es viele Dinge geben wird, die hart sind, aber die Freude helfen zu können hat dann doch überwogen. Mit den Kindern ist es am tollsten: sie Lachen dich so unverblümt an und sind so dankbar und glücklich. Man kommt auch ohne die Sprache zu sprechen gut mit den Patientinnen und Patienten aus, mit klein und groß. Das ist schon etwas, was im Gedächtnis bleibt. Sehr viel Positives. Dinge, die man mitnimmt und in sein Leben und seinen Alltag integriert. Man lernt noch dankbarer zu sein, für das, was wir alles haben. Und man lernt, dass noch viel zu tun ist. Wir müssen offener werden und den Menschen auch freundlich und offen begegnen.  

Frage 10: Planst du einen weiteren Einsatz?

Ich habe so viel von der Kultur vor Ort gesehen und mitgenommen, das bleibt nicht aus. Ich möchte noch mehr sehen, noch mehr kennenlernen. Das nächste Mal werde ich wahrscheinlich nach Indien gehen. Dort haben die German Doctors ebenfalls Projekte, die nochmal ganz anderes strukturiert sind und mich sicherlich wieder vor neue Herausforderungen stellen werden. Ich hatte einen „lauwarmen“ Einstieg in Kenia. Vorher habe ich mir auch Sorgen gemacht. Aber jetzt nach den sechs Wochen weiß ich: ich schaffe das! Ich habe mir in Kenia viel Wissen angeeignet, ich konnte z.B. am Ende erkennen, welche meiner Patienten zu welchem Stamm gehörten. Das Wissen wäre bestimmt schnell wieder refreshed, wenn ich zurück ginge. Ich würde aber gerne noch was anderes sehen. 

® German Doctors e.V.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Einsatz unseres medizinischen Direktors mit den German Doctors in Nairobi eine wertvolle und bereichernde Erfahrung war. Seine Arbeit vor Ort hat gezeigt, wie wichtig es ist, sich auf die Bedürfnisse und Herausforderungen der Menschen einzustellen und sie entsprechend zu unterstützen. Die Erfahrungen, die unser medizinischer Direktor gesammelt hat, haben nicht nur unser Verständnis für globale Gesundheitsfragen vertieft, sondern auch den Respekt und die Wertschätzung für die Arbeit solcher wichtigen Organisationen gestärkt. Wir sind dankbar für die Gelegenheit, an dieser wichtigen Arbeit teilhaben zu können 

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